Dudelsackmusik gehört zu den Highland Games in Schottland dazu Foto: ©VisitBritain/VisitScotland
Kale Randalls zieht den Kilt hoch und reibt die Hände mit Harz ein. Drei Männer schleppen einen sechs Meter langen Baumstamm heran, den er durch die Luft werfen soll. Seine Muskeln und das Publikum sind gespannt. Kale hebt den etwa 50 Kilogramm schweren Stamm hoch und nimmt Anlauf. Es geht nicht darum, dass er besonders weit wirft, sondern so, dass der Stamm eine 180-Grad-Drehung vollführt und dann in möglichst gerader Linie zu Boden fällt. Ein Holz-Flickflack sozusagen.
Klingt seltsam, aber das Baumstammwerfen (auf Englisch „caber toss“) gilt als wichtigste Disziplin der Highland Games in Schottland. Kale rennt, schleudert den Stamm in die Höhe, 5000 Zuschauer rufen „Ahhh!“ – und „Ohhh!“. Der Stamm hat sich zwar überschlagen, ist aber viel zu schräg hingefallen, das gibt nur wenige Punkte. Kale wischt sich den Schweiß von der Stirn. Tradition kann ziemlich anstrengend sein.
„Well done!“, rufen die anderen Athleten, denn die Konkurrenz besteht fast ausschließlich aus Bekannten und Freunden. Während der Sommermonate treffen sie sich fast jedes Wochenende bei einem Highland Game, um den Besten von ihnen bei Wettkämpfen wie Hammerwerfen, Hochspringen, Tauziehen, Dudelsack-Spielen oder Steinstoßen zu krönen.
Das Publikum feiert die Hobby-Sportler wie moderne Gladiatoren. Die Veranstaltung gleicht einem riesigen Schützenfest, nur eben mit Sport und Männern in Röcken. Zu gewinnen gibt es eigentlich nichts. „Doch!“, sagt Kale Randalls, der unter der Woche in einer Anwaltskanzlei arbeitet. „Die Aufrechterhaltung von Traditionen ist ein Gewinn für alle.“
Highland Games finden in Schottland seit über 1.000 Jahren statt. Sie wurden ursprünglich von Königen und Clans veranstaltet, um die schnellsten Männer als Boten und die stärksten als Bodyguards zu ermitteln. Heute richtet die Scottish Highland Games Association die Spiele aus, ihre Jury-Mitglieder nehmen ihren Job sehr ernst. „Wir arbeiten alle ehrenamtlich, um unsere Gemeinschaft zu stärken. Die braucht man auf dem Land einfach“, erklärt Rob Aitken.
Der 82-Jährige war früher selbst mehrere Male Champion, sein Sohn trat erfolgreich in die Highlander-Fußstapfen, und heute nimmt seine Enkelin an den Tanz-Wettbewerben statt. „Sehr talentiert“, sagt Aitken stolz und rückt seine Stockenten-Krawatte zurecht.
Dann zieht er einen weiter zum Wettrennen für verheiratete Frauen. Gerade will man die Turnschuhe schnüren, da sagt Aitken: „Sie können trotz Eherings leider nicht mitmachen. Dafür müssten Sie seit mindestens drei Jahren in Schottland wohnen. Außerdem trinken Sie viel zu langsam, in der Zeit hätte ich ja eine Flasche geleert.“
Whisky um elf Uhr morgens können eben nur Traditionalisten wie Kaffee konsumieren, Touristen tun sich zugegebenermaßen ziemlich schwer. So wird es nichts mit dem Hauptgewinn: einmal der Queen die Hand schütteln zu dürfen. Diese Ehre wird dem besten Highlander der Saison zuteil, er wird jeden September in Braemar gekürt, wo die Games unter der Schirmherrschaft von Königin Elizabeth II. stehen. Ihr Sommersitz Balmoral Castle liegt in der Nähe, und weil bereits Königin Victoria in Braemar harzige Hände schüttelte, tut Elisabeth dies ebenfalls.
Die Schotten danken ihr mit absoluter Verschwiegenheit. Jeden Sommer kommt die Queen für drei Monate nach Schottland, um in ihrer Privatresidenz Balmoral Castle Urlaub zu machen. Jeden Sommer hat sie – bis auf das eine Highland
Game – ihre Ruhe. Was die Queen denn mache, wenn sie vor Ort sei? Ob sie auch Whisky trinke?
Die Nachbarn von der Whisky Destillery direkt neben dem Schloss winken lachend ab. Doch, von der königlichen Familie komme schon mal jemand vorbei, und es werde auch Whisky nach Balmoral geliefert, aber wer was trinke, darüber wird selbstverständlich geschwiegen. „Wir beschützen unsere Königin“, sagt eine Mitarbeiterin der Royal Lachnagar Destillery, und sie wirkt dabei mindestens so stark wie ein Highlander.
Ein bisschen was über die Queen erfährt aber doch, wer eine Besichtigungstour des Schlosses bucht (was natürlich nur geht, wenn sie nicht gerade dort weilt). Der Gärtner vor Ort hat beispielsweise ziemlich großen Stress, weil die Monarchin Blumen und Eintopf mag. 70 Zimmer des Hauses sind mit Sträußen zu dekorieren, und jedes Gemüse muss pünktlich zur Ankunft der Queen reif sein. Keine leichte Aufgabe, wenn man das schottische Klima als Gegner hat.
Der Winter beginnt teilweise schon im Oktober, bis zu minus 27 Grad kann es werden, der Boden friert teilweise bis März, nur der Juli gilt als garantiert frostfrei. Bleibt eine kurze Zeitspanne für den Gemüseanbau, der überhaupt nur gelingt dank der langen Tage im Frühsommer, wenn die Sonne erst gegen 23 Uhr untergeht. Frisch wird es also häufig rund um Balmoral Castle, und weil alte Schlösser schlecht und teuer zu heizen sind, sieht man die Queen häufig in der Crathie Kirk. Anders als ihre Räume werden die der Kirche auf der anderen Straßenseite nämlich gut geheizt.
Man versteht es nicht ganz, warum die Regentin hier und nicht etwa in Cornwall ihre Ferien verbringt. Wäre doch schön, auch mal ohne Schal vor sein Anwesen treten zu können. Vielleicht geht es Elizabeth II. nicht ums Urlauben, sondern darum, Flagge zu zeigen: Seht her, ich verbringe viel Zeit in Schottland. Wir gehören zusammen!
In der Tat stellt die Monarchie den besten und bisweilen einzigen Klebstoff dar, der England und Schottland verbindet. „Die Rivalität läuft durch unsere Adern“, sagt George Stewart, Reiseführer aus Glasgow, selbstredend im Kilt unterwegs. Keiner der 5,2 Millionen Schotten würde sich als Brite bezeichnen.
Wenn Stewart von Touristen gefragt wird, worauf die Schotten denn nun eigentlich so stolz seien, dann stellt er zahlreiche Gegenfragen: Telefoniert ihr? Fahrt ihr Auto? Benutzt ihr Bankautomaten? Seht ihr fern? „Alles nur möglich unseretwegen. Wir sind ein kleines Land mit großem Einfluss“, sagt Stewart. Es würde nur immer kleiner gemacht, als es sei. Ein bisschen zeigt es sich beim Umgang mit dem Tennisspieler Andy Murray: Wenn er gewinnt, dann ist er Brite. Wenn er verliert, wird er von den Kommentatoren Schotte genannt.
Kämpfen, Gewinnen oder Verlieren gehört seit jeher zur schottischen Geschichte. Man sieht es heute noch an den zahlreichen Burgen und Schlössern, die das Land wie große Erinnerungsmonumente übersäen. Besonders in der Grafschaft Aberdeenshire reiht sich ein Anwesen an das nächste.
Mit mehr als 300 Schlössern gilt Aberdeenshire als „Scotland’s Castle Country“; für Touristen wurde extra ein „Castle Trail“ ausgewiesen. Wer den braun-weißen Straßenschildern mit dem Leihwagen folgt, kann in wenigen Tagen die 19 spannendsten und berühmtesten Burgen und Schlösser erkunden.
Am dramatischsten von allen: Dunnottar Castle. Ein Ort wie ein zerfleddertes Geschichtsbuch. Die Gebäude sind nicht mehr ganz intakt, aber die Botschaft, die diese Burgruine auf einem Felsen am Meer verbreitet, ist klar: Wir geben niemals auf!
Zwei historische Ereignisse, die hier stattfanden, stechen besonders hervor: 1297 kam es zum großen Auftritt von William Wallace, dem größten Held der Schotten (von Mel Gibson im Film „Braveheart“ verkörpert). Der schottische Freiheitskämpfer führte den Widerstand gegen Edward I. von England an, dessen Truppen Dunnottar Castle eingenommen hatten.
Aber nicht mit Wallace! Er und seine größtenteils unerfahrenen Kämpfer gingen brutal und ohne Gnade gegen die Besatzer vor, die sich in die Kirche der Burg flüchteten. Wallace brannte daraufhin die Kirche ab, die Engländer kamen im Feuer um oder flüchteten erfolglos bis zu den Klippen, wo sie in die Nordsee stürzten.
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Gut 300 Jahre später kämpfte man schon wieder oder immer noch gegeneinander. Dieses Mal belagerte Oliver Cromwell, der selbst ernannte Lordprotektor von England, Schottland und Irland die Burg, weil er in ihnen die schottischen Kronjuwelen vermutete, die es selbstverständlich zu zerstören galt. Aber die Schotten ließen sich das Zepter nicht aus der Hand nehmen.
Mit einer List schmuggelte eine clevere Frau Krone, Schwert und Zepter in Säcken mit Waren hinter die feindlichen Linien. Was für ein Ärger, als Cromwell 1652 nach acht Monaten Kampf Dunnottar Castle endlich einnehmen konnte – und sich nichts Wertvolles mehr darin befand.
Der Castle Trail führt so anschaulich durch die schottische Geschichte, das es einen manchmal schaudert. Es gibt natürlich Schlösser, die so aussehen, als würden heute noch gut frisierte Prinzessinnen darin spinnen (Craigievar Castle), aber in der Mehrzahl besichtigt man Anwesen, in denen neben Whisky auch viel Blut floss.
Auf Fyvie Castle zum Beispiel spukt es heute noch! Die Angestellten sind sich sicher, dass die grüne Lady nach wie vor hier ihr Unwesen treibt. Um 1700 soll es gewesen sein, dass der damalige Hausherr seiner Gattin überdrüssig wurde, weil sie ihm nur Töchter geschenkt hatte.
Er steckte sie in eine Abstellkammer und wollte sie verhungern lassen, um seine 15-jährige Nichte zu heiraten. Der Bruder der armen Frau kam zur Hilfe, wurde aber vor ihren Augen ermordet. Bei einer wirklich eindrucksvollen Führung durch den Palast bekommen die Gäste sogar noch die Blutspritzer an der Holzvertäfelung präsentiert. Die neue Frau bekam schließlich den ersehnten Sohn, doch dieser sowie alle erstgeborenen Söhne der nächsten Generationen starben allesamt auf grausame Art und Weise, deren Details wir uns hier ersparen.
Ja, mit Frauen und Schotten sollte man sich nicht anlegen.
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Yvonne Weiß
Die GLOBISTA-Autorin Yvonne Weiß ist Chefreporterin beim Hamburger Abendblatt, und da Hamburg als Tor zur Welt gilt, geht sie sehr häufig hindurch und auf Reisen.