Orientalische Düfte und Gewürze strömen in Marrakesch den Duft von 1001 Nacht aus
Es ist tiefe Nacht. Das Taxi hält am Rande der Medina, hier geht es nur noch zu Fuß weiter. Die Millionenmetropole ist jetzt still. Nur die Schritte einiger Passanten sind zu hören, die noch durch die Gassen huschen. In der Ferne knattert ein Mofa. Vor der Tür wartet der Nachtportier, der uns freundlich hereinbittet. Obwohl es noch dunkel ist, wissen wir sofort: Die Wahl der Unterkunft ist ein Volltreffer. Denn hinter den unscheinbaren Wänden der engen Gassen offenbart sich ein wahrer Prachtbau, von denen es in der Medina inzwischen Hunderte gibt. Oasen der Ruhe abseits des lärmenden Trubels sind diese Riads. Kleine bis mittelgroße Gasthäuser, die als gemeinsames architektonisches Merkmal grüne Innenhöfe und Dachterrassen haben.
Marrakesch, diese magische Stadt aus Tausend und einer Nacht. Von oben verschaffen wir uns am Morgen einen ersten Überblick. Und staunen, dass wir außer grauen Dächern kaum etwas sehen. Die Bebauung der Altstadt ist so dicht, dass die Gassen nur zu erahnen sind. Nur ein einziges Gebäude überragt die Szenerie: der Minarettturm der Koutoubia-Moschee.
Zeit, die Stadt zu erkunden. Auch erfahrene Individualreisende sollten für den ersten Tag einen Reiseführer engagieren. Dieser kostet rund 80 Euro. Mit dieser Maßnahme beugt man nicht nur vor, dass man sich im Gassengewirr der Medina verläuft. Man stellt auch sicher, dass der Blick für die großen und kleinen Sehenswürdigkeiten geschärft wird.
Schon nach wenigen Metern macht uns Ahmed auf eine Besonderheit aufmerksam, an der wir ohne ihn vermutlich achtlos vorbeigelaufen wären. „Treten Sie bitte in diesen Innenhof herein, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“ Eine uralte Karawanserei, inzwischen wieder renoviert und hergerichtet. Balkone aus geschnitztem Pinienholz umrahmen den zweigeschossigen Bau, in dem sich vor Jahrhunderten die Karawanen nach ihren langen Reisen ausruhten, ehe die Waren weiter verteilt und verkauft wurden. Heute dürfen dort Kunsthandwerker zum Selbstkostenpreis leben und arbeiten. „Der touristische Erfolg von Marrakesch beruht darauf, dass wir unsere Traditionen bewahren und schützen. Das hat inzwischen die Regierung erkannt und fördert solche Projekte“, erklärt Ahmed.
Wir sehen derweil, wie ein alter Mann mit Hilfe seines Fußes und einer Drechselmaschine kunstvolle Holzschnitzereien fertigt. Der Antrieb erfolgt durch einen um das Werkstück gewickelten Strick, der mit einem Bogen in Schwung gebracht wird. Mit der Zehe drückt er das Stecheisen gegen das Holz. Nur Minuten später präsentiert der Mann grinsend das verzierte Holzstück.
Gleich gegenüber gilt es einen traditionellen Hamam zu bestaunen. Er dient noch heute als Ort für eine intensive Körperwäsche. Wir steigen eine steile Treppe herab und begegnen den vielleicht wichtigsten Personen hier. Schwarz verschmiert wirft ein Heizer neue Späne und Holz in den Ofen. Sein Kollege schnarcht währenddessen auf einer Matratze aus Pappe. „Die beiden sind rund um die Uhr im Einsatz und sorgen für die Wärme in den Behandlungsräumen“, berichtet Ahmed. Nebenan geht es in den nach Geschlechtern getrennten Räumen dann ans Eingemachte.
Mit Handschuhen bewaffnet schrubben und rubbeln die Bad-Mitarbeiter die Körper ihrer Gäste kräftig ab und reinigen die Haut. Auch kräftige Massagen sind im Angebot. Eintritt und Behandlungen kosten nur einen Spottpreis, allerdings ist diese orientalische Wellness-Version durchaus rustikal. Wir schlendern weiter. Im Vergleich zu einem Besuch vor gut zehn Jahren hat sich viel getan. Es ist sauberer, viel entspannter. Das Publikum ist extrem international. Statt großer Touristengruppen sind Individualreisende in der Mehrzahl. Die einstmals so lauten Händler üben sich weitgehend in angenehmer Zurückhaltung. Wirklich aggressives Anwerben von Käufern ist verpönt und wird inzwischen sogar polizeilich geahndet.
Die Geschäfte laufen trotzdem. Marrakesch boomt seit Jahren und glücklicherweise partizipieren fast alle Menschen hier vom Tourismus. Und die fast tausend Jahre alte Stadt verkommt dabei keineswegs zur künstlichen Kulisse. In der Medina pulsiert wie eh und je das Leben, Hunderttausende Einwohner wohnen und arbeiten hier. Die Kinder eilen zur Schule und die Gläubigen fünf Mal am Tag in die Moschee. Es gibt noch immer die Viertel der Gerber, der Kunstschmiede, der Schuhmacher und der Wollfärber. Oftmals liegen sie direkt neben den Hauptsehenswürdigkeiten wie der Medersa Ben Youssef, einer ehemaligen Koran Hochschule, dem Bahia Palast oder den Saadier-Gräbern.
Alles ist wunderbar kompakt, was Gästen mit einem kleinen Zeitbudget sehr entgegenkommt. Zwei Tage sind daher für ein erstes Kennenlernen ausreichend, sogar für die etwas außerhalb gelegenen Attraktionen wie die Majorelle-Gärten oder die Menara-Gärten bleibt Zeit. Bei diesen Fahrten fällt auf, wie viel unbebaute Fläche nach wie vor rund um das unmittelbare Stadt-Zentrum existiert. Internationale Hotelkonzerne und große Projektentwickler haben sich jedoch längst in Stellung gebracht. Spätestens in zehn Jahren stehen hier mit großer Wahrscheinlichkeit Shopping-Center und anonyme Hotelkomplexe. Keine schöne Vorstellung.
Es weht ein milder Wind. Am frühen Abend erwacht auf dem Djemaa el Fna das Leben. Was wurde schon alles über diesen legendären Henkersplatz geschrieben?! Dieses Gesamtkunstwerk aus Gauklern, fliegenden Händlern, Musikern, Wahrsagern, Akrobaten, Geschichtenerzählern, Schlangenbeschwörern und jungen Mädchen, die rote Henna-Tattoos auf Füße und Beine malen. Stunden kann man sich hier treiben lassen. Schauen, staunen, die Atmosphäre in sich einsaugen. Den frisch gepressten Orangensaft gibt es für 40 Cent. Und ein freundliches Lächeln gratis dazu.
Später dann werden an unzähligen Grillständen unter freiem Himmel die Speisen zubereitet. Der Tipp, sich dort niederzulassen, wo möglichst viele Einheimische sind, ist goldrichtig. Schnell ist die Bestellung aufgenommen. Dann gibt es Fladenbrot und Oliven, kurz darauf folgt ein üppiger Grillteller. Derweil beobachten wir fasziniert die bunte Szenerie um uns herum, ein unbezahlbares Erlebnis.
Anschließend ein letzter Spaziergang durch die Medina. Diesmal auf eigene Faust. Wir können uns einigermaßen orientieren. Verlaufen tun wir uns trotzdem. Auch, weil nun Shopping angesagt ist. Und in Marrakesch kann das bedeuten, dass der normale Verstand zeitweise aussetzt. Ein Deutschland-Trikot für den Neffen, bunte Handtaschen, ein kleines Souvenir-Kamel, eine bunt bemalte Keramikschale, ein Silbertablett, eine silberne Etagere und noch viel, viel mehr. Es wird gefeilscht, gehandelt und gelacht. Immer nett, nie verbissen. Am Ende sind die gewieften Händler selbstverständlich die Gewinner, wir aber trotzdem zufrieden.
Der Muezzin hat längst zum letzten Gebet gerufen, ehe wir das Riad erreichen. Ein kühles Bier auf der Dachterrasse zum Abschied. Es ist wieder ganz still. Morgen früh geht es zurück. 48 Stunden waren nicht genug. Und doch perfekt für ein maximal exotisches Wochenende.
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Pascal Brückmann
Für den GLOBISTA-Autor Pascal Brückmann strahlt Marokko eine unglaubliche Faszination aus. Er hat schon mehrere Reisen dorthin absolviert – und würde immer wieder in dieses facettenreiche Land zurückkehren.